Praxisblitzlicht „Lebensweltorientierung in der Praxis“ – Altenburg-Gemeinschaftsschule in Stuttgart

Die Altenburg-Gemeinschaftsschule in Stuttgart wurde 2022 im MIXED-UP-Wettbewerb ausgezeichnet. Der MIXED-UP-Wettbewerb für kreative Kooperationen zeichnet Projekte und regelmäßige Angebote Kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche aus, die durch ein Kooperationsteam umgesetzt werden. Er ist ein Projekt der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (bkj) und wird durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Der MIXED-UP-Wettbewerb drehte sich 2022 rund um das Thema Ganztag. Ausgezeichnet wurden vielfältige und innovative Projekte, regelmäßige Angebote, spannende Strukturansätze sowie gute Konzepte, die durch ein Kooperationsteam oder in einem Netzwerk umgesetzt werden.

Die Altenburg-Gemeinschaftsschule setzt sich für eine Verbindung der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen mit Angeboten im schulischen Ganztag ein. Dafür kooperiert die Schule nicht nur mit der Stuttgarter Jugendhaus Gesellschaft (stjg), sondern auch mit vielen weiteren außerschulischen Partnern und Ehrenamtlichen im Quartier: aus Kunst und Kultur, aus (kultureller) Jugendarbeit oder aus dem Sport. 

Im Interview berichten Silke Scheunemann, die Leitung pädagogischer Fachkräfte für die Grundschule, und ihr Stellvertreter Mathias Klotzbücher von der Umsetzung des Stuttgarter Modells an ihrer Schule, ihre Ziele und ihren Alltag. Beide sind bei der stjg angestellt und gestalten so den Ganztag an der Altenburg-Gemeinschaftsschule. 

Infobox: Stuttgarter Modell 
Im Stuttgarter Modell werden freie Träger der Jugendhilfe für die Ganztagsangebote an Schulen geholt. An Ganztagesgrundschulen können so freizeit- und bildungspädagogische Angebote in den Schultag integriert werden. In Abstimmung mit der Schule wird für die Koordinierung und Durchführung der freizeitpädagogischen Angebote ein Träger der Jugendhilfe beauftragt. Die hierfür notwendigen Finanzmittel werden von der Stadt bereitgestellt. Für die Durchführung der Angebote setzt der Träger der Jugendhilfe eigenes Personal ein oder arbeitet mit Dritten - etwa durch Kooperationen.

An der Altenburg-Gemeinschaftsschule ist der Träger des Ganztages die Stuttgarter Jugendhaus Gesellschaft. Sie hat ihre Wurzeln in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Die gemeinnützige Organisation gehört mit 41 Einrichtungen bundesweit zu den größten freien Trägern offener Kinder- und Jugendarbeit. 

Frau Scheunemann und Herr Klotzbücher, was ist Ihr Konzept für den Ganztag? 

Scheunemann: Als freier Träger der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sind wir an der Altenburg-Gemeinschaftsschule zuständig für den Ganztag. Wir organisieren die Früh- und Spätbetreuung sowie eine Ferienbetreuung als Teil der Ganztagsangebote. Dabei arbeiten wir eng mit den Lehrkräften zusammen und sind immer gemeinsam in den Angeboten anwesend. Ein grundlegender Aspekt unserer Arbeit ist die Rhythmisierung. Das bedeutet, dass sich Betreuung und Unterricht ablösen. So entsteht auch ein Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung bei den Kindern. Neben Lesen, Schreiben und Rechnen lernen, lernen sie dabei auch, ihre sozialen Kontakte zu gestalten. 

Klotzbücher: Das Ziel eines solch breiten Angebots ist, dass möglichst jedes Kind die eigene Stärke in den Angeboten einsetzen kann. Dabei geht es uns um die Orientierung an der Lebenswelt der Kinder. Wir wollen die Kinder dort abholen, wo sie gerade stehen – ihnen aber auch Anregungen mitgeben und neue Möglichkeiten aufzeigen. Gerade bei Kindern aus sozial schwächeren Haushalten zeigen die vielfältigen Angebote der Ganztagsschule neue Möglichkeiten auf. Die Kinder sind zum Teil acht bis zehn Stunden hier bei uns an der Schule. Wir wollen den Kindern einen Teil ihrer Zeit und ihrer Freiheit zurückgeben, indem sie Spaß an den Angeboten haben, gerne hier sind und sie selbst sein können. Dazu gehen wir auch raus in die Stadt und schauen in den sozialen Umfeldern der Kinder, welche Möglichkeiten sich hier bieten. Der Park um die Ecke, der Jugendtreff im Stadtteil – wir wollen den Kindern zeigen, was es auch außerhalb der Schule gibt. Dabei ist uns die Beziehungsarbeit mit den Kindern besonders wichtig. Durch die Rhythmisierung verbringen die pädagogischen Fachkräfte mehr Zeit mit den Kindern, auch während der Unterrichtszeit. So können bessere Beziehungen aufgebaut werden. Wenn vertrauensvolle Beziehungen entstehen, ist es leichter, den Kindern ihre Stärken aufzuzeigen und ihnen Angebote zu machen, in denen sie positive Erfahrungen sammeln können. 

Wie läuft die Zusammenarbeit mit externen Partnern ab? Welche Kooperationen haben Sie und wie pflegen Sie diese? 

Scheunemann: Die stjg ist die erste Säule unseres Ganztages. Mit unseren pädagogischen Fachkräften gestalten wir die Ganztagsangebote. Die zweite Säule bilden die Kooperationspartnerinnen und -partner aus dem Stadtteil. Dafür war es von großem Vorteil, dass Herr Klotzbücher, unsere stellvertretende Leitung, im Stadtteil aufgewachsen und gut vernetzt ist. Wir besuchen mit den Erstklässlerinnen und Erstklässlern die offenen Einrichtungen im Stadtteil und zeigen ihnen so Angebote außerhalb der Schule. 

Klotzbücher: Wir kooperieren auch mit Sportvereinen, den Theaterhäusern oder auch der freien Kunstschule. So machen wir die Kinder mit den Menschen bekannt und zeigen ihnen, wo sie bei Interesse anknüpfen können. Gerade im künstlerischen und musischen Bereich ermöglichen wir so vielen Kindern Zugänge, die sie sonst nicht hätten. Außerdem unterstützen uns viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die zum Beispiel Instrumente lehren. So haben wir unter den Kindern an unserer Schule schon einige Talente entdeckt.  

Wie gestalten Sie den Ganztag an der Altenburg-Gemeinschaftsschule in Stuttgart? 

Klotzbücher: Wir haben zum Beispiel ein Frühstücksangebot, zu dem die Kinder ab 7 Uhr in die Schule kommen können. Manche Kinder haben zuhause nicht die Möglichkeit in Ruhe zu frühstücken oder sie frühstücken einfach lieber mit ihren Freundinnen und Freunden in der Schule. Dabei fragen wir auch immer wieder nach den Bedürfnissen der Kinder und lassen ihre Ideen und Wünsche mit in die Gestaltung der Angebote einfließen. Auch der Themenunterricht ist so organisiert, dass die Kinder aus unterschiedlichen Angeboten wählen können. Das ist eine ganz grundlegende Partizipationsmöglichkeit mit großer Wirkung.

Scheunemann: Insgesamt haben wir eine sehr gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit der Schulleitung. So können wir viele Ideen kurzfristig und realistisch umsetzen. Wir sind mehrmals wöchentlich mit der Schulleitung im Gespräch. Im Leitungsteam, bestehend aus der Schulleitung, Lehrkräften und uns, stoßen wir neue Ideen an und tauschen uns spontan aus, wie wir diese umsetzen können. Eine neue Idee ist auch, dass wir alle Schülerinnen und Schüler fragen: Was sind eure Visionen für die Schule? Wo soll es hingehen? Alle Kinder an der Schule werden befragt, von Klasse 1 bis 10. Wir wollen damit alle Blickwinkel an der Schule unter einen Hut bringen. So werden die Entscheidungen im Nachgang auch eher von allen mitgetragen. Der Fragebogen wird von allen, die lesen können, digital beantwortet. Für die Kinder, die noch nicht lesen können, gibt es Übungen, um ihre Wünsche abzufragen. Dabei können sie sich zum Beispiel danach im Raum aufstellen, wie wichtig ihnen ein Thema ist oder wie gut oder sie schlecht sie bestimmte Aspekte bewerten. 

Klotzbücher: Das Besondere an der Schule sind die Kinder, die hier etwas erleben und lernen. Die Kinder sind unsere Daseinsberechtigung. Mein Lehrer an der Erziehungsschule hat immer gesagt: „Keine Erziehung ohne Beziehung und keine Bildung ohne Bindung. Danach handeln wir hier auch heute. Um das einzelne Kind da abzuholen, wo es steht, muss ich das Kind mit seinen Bedürfnissen und Wünschen erstmal kennenlernen.


Tipps 

Kontakte im Stadtteil aufbauen und nutzen 

Durch eine gute Vernetzung kann sich eine Schule ein kleines Netzwerk aufbauen, an dem die Kinder auch in ihrem Alltag außerhalb der Schule immer wieder andocken können. So kann Kindern die Möglichkeit gegeben werden, selbst zu entscheiden, an welchen Orten sie sich am wohlsten fühlen. 

Verantwortung für die eigenen Ideen und deren Umsetzung übernehmen 

Gerade für Verantwortliche in Leitungspositionen ist es wichtig, Verantwortung für die eigenen Ideen zu übernehmen. Auch wenn sich während der Umsetzung zeigt, dass die Idee nicht funktioniert. Dann gilt es Fehlerbereitschaft zu zeigen und etwas Neues auszuprobieren. Dabei ist es wichtig, selbst zu reflektieren: Wie kann ich jetzt reagieren? Was müsste geändert werden, damit die Idee funktioniert? 

Die eigenen Mitarbeitenden wertschätzen und Vielfalt fördern

Die Arbeit mit externen Kooperationspartnerinnen und -partnern ist wichtig – und die eigenen Mitarbeitenden sind es auch. Offene und ehrliche Beschäftigte ermöglichen erst einen abwechslungsreichen und sinnvollen Ganztag für die ganze Schule. Daher ist es sehr wichtig für eine Schule, Mitarbeitende mit guten Rahmenbedingungen zu halten und mehr Menschen an die Schulen zu bringen. So entsteht eine vielfältige Belegschaft, sodass jedes Kind eine für sich passende Bezugsperson finden kann.