Expertinneninterview „Resilienz im Ganztag“ - Interview mit Anna Davis

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Anna Davis © Deutsche Kinder- und Jugendstiftung

Anna Margarete Davis arbeitet seit 2003 bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS). Sie baute zunächst das bundesweite Entwicklungsprogramm Ideen für mehr! Ganztägig lernen mit auf und leitet heute den Bereich Schulentwicklung und Ganztag. Bei den DKJS-Programmen in diesem Handlungsfeld geht es vorrangig darum, bildungsbenachteiligten Kindern und Jugendlichen ein gutes Aufwachsen und mehr Teilhabe zu ermöglichen. 

Mit dem Programm Resilienz im Ganztag (RiGa) hat die DKJS im vergangenen Jahr Kinder und pädagogische Fachkräfte gestärkt, sodass sie mit Krisen- und Belastungssituationen besser umgehen können. RiGa war Teil des DKJS-Programms AUF!leben – Zukunft ist jetzt, welches vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde. Es hatte zum Ziel, Kinder und Jugendliche aller Altersklassen dabei zu unterstützen, die Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Im Fokus standen dabei das Lernen und Erleben außerhalb des Unterrichts. Das Programm war Teil des Aktionsprogramms Aufholen nach Corona der Bundesregierung. Im Interview spricht Anna Margarete Davis über Resilienz von Kindern und Fachkräften im Ganztag und wie diese gefördert werden kann. 

Was bedeutet Resilienz? 

Resilienz stammt ursprünglich aus dem Lateinischen „resilire“ und bedeutet so viel wie „zurückspringen“, „abprallen“, „wieder in die ursprüngliche Form zurückkommen“. Resilienz ist die innere Stärke beziehungsweise Fähigkeit, auch in belastenden Situationen die psychische Gesundheit aufrechtzuerhalten. Die Fähigkeit, akute Krisen oder Belastungen zu bewältigen, ohne daran zu zerbrechen, wird im Lebensverlauf erworben. Das ist keine Eigenschaft, mit der wir geboren werden. Vielmehr ist das Erlernen von Resilienz ein dynamischer Prozess, der sich im Laufe des Lebens verändert, und den man erlernen kann. Zum Beispiel, indem Kinder mit Bezugspersonen interagieren und sie ganz viele reale Bewältigungserfahrungen machen.

„Die Fähigkeit, akute Krisen oder Belastungen zu bewältigen, ohne daran zu zerbrechen, wird im Lebensverlauf erworben. Das ist nicht etwas, womit man geboren wird.“ 

Wie können Schulen und Ganztagsangebote ein Umfeld schaffen, das die Resilienz von Kindern fördert? 

Wir gehen davon aus, dass es im Ganztag viel mehr Zeit für interaktive Dinge gibt, die im rein schulischen Kontext so nicht stattfinden können. Wir müssen uns die Faktoren anschauen, die entscheidend dafür sind, dass Kinder Resilienz entwickeln können. Hierzu gibt es viele verschiedene Theorien. Die DKJS hat sich hierbei an der Arbeit von Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff und Prof. Dr. Maike Rönnau-Böse vom Zentrum für Kinder- und Jugendforschung (ZfKJ) orientiert. Gemeinsam haben sie herausgefunden, dass insbesondere sechs Faktoren entscheidend für die Resilienzentwicklung von Kindern sind:

  • Der Faktor Selbstwirksamkeit kann durch pädagogische Fachkräfte beispielsweise dadurch gestärkt werden, dass Kindern Verantwortung übertragen wird. Wichtig ist, dass es sich dabei nicht um eine vorgetäuschte, sondern echte Verantwortung handelt. Daraus entsteht dann auch echte Selbstwirksamkeit. 
  • In Einrichtungen, in denen Kinder aufeinandertreffen, können soziale Kompetenzen vermittelt werden. In herausfordernden oder belastenden Situationen ist es besonders wichtig, sich gegenseitig zu unterstützen oder andere um Hilfe zu bitten. Um das zu erlernen, braucht es soziale Netzwerke und soziale Beziehungen. Dabei ist es wichtig, im Blick zu haben, dass kein Kind allein ist.
  • Bei der Selbst- und Fremdwahrnehmung geht es darum anzuerkennen, dass jedes Kind Situationen individuell wahrnimmt und andere Gefühle entwickelt. Das ist deshalb wichtig, weil Kinder so lernen die Reaktionen anderer besser einzuschätzen und damit umzugehen. 
  • Zum Aspekt der Selbststeuerung gehört nicht nur, dass Kinder lernen Wut oder Ärger zu kontrollieren, sondern auch, sich in belastenden Situationen wieder motivieren zu können. Es ist wichtig, dass Kinder erkennen: Ich habe das selbst in der Hand. 
  • Pädagogische Settings können außerdem eine Menge zur Problemlösekompetenz beitragen. Kinder sollen befähigt werden, unabhängig von Erwachsenen Lösungen zu finden. Dazu braucht es Räume, die es Kindern ermöglichen, sich kreativ auszuprobieren und zu entfalten.
  • Wir haben in unseren Projekten bemerkt, dass das Thema Stressbewältigung in der Arbeit mit Kindern nicht groß thematisiert wird. Kinder empfinden Stress jedoch zum Teil sehr intensiv. Es sollte hinterfragt werden, was den Stress verursacht. Ist es eine geplante Klassenarbeit? Oder gibt es zu Hause Spannungen? Es ist wichtig diese Dinge zu benennen und auch Lösungen dafür aufzuzeigen. 

Inwiefern trug das Programm „Resilienz im Ganztag“ dazu bei, Resilienz im Ganztag zu fördern? 

Das Programm Resilienz im Ganztag hatte zum Ziel, insbesondere pädagogische Fachkräfte für das Thema Resilienzförderung zu sensibilisieren. Wir waren in 130 Einrichtungen und haben diese mit Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter zusammengebracht. Sie haben eine IST-Stand-Analyse durchgeführt, bei der die unterschiedlichen Resilienzfaktoren genauer in den Blick genommen wurden. Gemeinsam haben die Teams reflektiert, inwieweit sie im Bereich Resilienzförderung bereits gut aufgestellt sind, und welche Lücken bestehen.

Dabei war uns wichtig, den Fokus nicht nur auf die Kinder, sondern auch auf die pädagogischen Fachkräfte im Ganztag zu legen. Denn nur gesunde und psychisch stabile Fachkräfte können die Kinder gut in ihrer Entwicklung begleiten. Aus diesem Grund haben wir auch einen Resilienz-Kalender entwickelt, in dem bewusst auf Resilienz im Team geachtet wird. 

Welche Strategien zur Resilienzförderung können Sie Fachkräften mit auf den Weg geben? 

Sehr konkrete Tipps und Methoden haben wir in den RiGa-Materialien aufbereitet, die online zur Verfügung stehen. Das Kartenset, das wir entwickelt haben, hilft beispielsweise über verschiedene Reflexionsfragen Lücken in den Angeboten zur Resilienzförderung offenzulegen. Diese Erkenntnisse können dann in konkrete Maßnahmen übersetzt werden. Es braucht Ansätze, über die die Methoden strukturell im Alltag verankert werden können. Das sind zum Beispiel konkrete Zeitfenster oder die Aufteilung von Verantwortlichkeiten.