Multiprofessionelle Kooperation - Interview mit Stephan Kielblock

Was bedeutet multiprofessionelle Kooperation an Ganztagsgrundschulen? 

Multiprofessionelle Kooperation meint, dass Teams über Berufsgruppen und Institutionen hinweg übergreifend arbeiten. An Ganztagsgrundschulen arbeiten Personen mit vielen verschiedenen beruflichen Hintergründen, zum Beispiel Sozialpädagoginnen und -pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher, Förderpädagoginnen und -pädagogen, Ergo- und Logotherapeutinnen und -therapeuten. Für einzelne Angebote finden sich außerdem meist auch Personen mit handwerklicher, künstlerischer oder sportlicher Ausbildung oder Erfahrungen. Das ist weit verbreitet: In etwa neun von zehn Grundschulen sind im Ganztagsbetrieb neben den Lehrkräften noch weitere Personen pädagogisch tätig. Weiterhin kooperieren Ganztagsschulen mit Horten, Jugendzentren, Verbänden, Vereinen, Bibliotheken, Betrieben – die Liste ist lang. Zwar hat nicht jede einzelne Schule ein solch riesiges Spektrum, aber gerade Grundschulen haben häufig Kooperationspartner. Je nach Konzept des Ganztagsbetriebs müssen die einzelnen Personen mehr oder weniger intensiv zusammenarbeiten. Das nennt sich dann multiprofessionelle Kooperation. 


Welche Ziele verfolgen die Akteure mit dem Arbeiten in multiprofessionellen Kooperationen, insbesondere an Grundschulen? 

In den Bundesländern und verschiedenen Ganztagsgrundschulen werden unterschiedliche Ziele mit dem Ganztagsbetrieb verbunden. Deshalb variiert auch die Umsetzung der multiprofessionellen Kooperation. Im Großen und Ganzen gibt es drei Hauptziele, die mit dem Ganztag im Primarbereich verbunden sind: 

  • Längere Öffnungszeiten und umfassende Betreuungszeiten sind ein wichtiger Auftrag der Ganztagsgrundschule. Das Ziel ist, Familien zu entlasten und für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sorgen. Doch die Erweiterung der verlässlichen Betreuungszeiten lässt sich nicht alleine durch Lehrkräfte stemmen. Es gibt stets weitere Personen, die an der Ganztagsgrundschule tätig sind und die miteinander kooperieren. Damit dies funktioniert, braucht es gute Abstimmungen. Informationen müssen zwischen allen Beteiligten fließen. 
  • Die Ganztagsgrundschule hat auch die Gestaltung einer neuen Lernkultur zum Ziel. Der Unterricht wird durch außerunterrichtliche Lernarrangements ergänzt, die etwas anderes sind als Unterricht. Das erfordert unter anderem auch Abstimmungen zu den Inhalten. Die verschiedenen Angebote sollten gut und bereichernd für die Kinder ineinandergreifen. 
  • Ein weiteres Ziel ist die individuelle Förderung der Kinder – beim Lernen, in der Entwicklung von Fähigkeiten und der eigenen Persönlichkeit. Um individuelle Lern- und Entwicklungsstände zu kommunizieren und daran in den verschiedenen Lernarrangements anzuknüpfen, müssen sich die pädagogisch Tätigen umfassend abstimmen. Dazu gehört auch, Angebote gemeinsam durchzuführen, Probleme gemeinsam anzugehen und Lösungen zu erarbeiten. 

Diese drei Bereiche zeigen, wie vielfältig die Ziele des Ganztags sein können und was dies an Herausforderungen für die multiprofessionelle Kooperation mit sich bringt. Das kann an den Standorten durchaus unterschiedlich sein. Manche legen zum Beispiel einen Schwerpunkt auf Betreuung, andere fokussieren stärker die individuelle Förderung. Je nachdem sind dann die Weichen für die multiprofessionelle Kooperation zu stellen.  


Längere Öffnungszeiten und umfassende Betreuungszeiten sind ein wichtiger Auftrag der Ganztagsgrundschule. Das Ziel ist, Familien zu entlasten und für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sorgen. Doch die Erweiterung der verlässlichen Betreuungszeiten lässt sich nicht alleine durch Lehrkräfte stemmen. Es gibt stets weitere Personen, die an der Ganztagsgrundschule tätig sind und die miteinander kooperieren. Damit dies funktioniert, braucht es gute Abstimmungen.
Stephan Kielblock, DIPF 

Wie kann die multiprofessionelle Kooperation bestmöglich gelingen?

In der dritten Phase der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen haben wir sechs Schritte identifiziert, die nötig sind, um multiprofessionelle Kooperation an Ganztagsgrundschulen zu stärken: 

  1. Die Rahmenbedingungen müssen allen Beteiligten klar sein. Mit welchen Grundlagen arbeiten wir? Auf welche Verordnungen oder Handlungsanweisungen berufen wir uns? Welche Unterschiede gibt es zwischen den kooperierenden Einrichtungen? Aus der Klärung ergeben sich gemeinsame Spielräume für die pädagogische Tätigkeit. 
  2. Die einzelnen Beteiligten müssen sich kennen. So einfach es klingt, aber dies ist in Ganztagsgrundschulen tatsächlich nicht immer gegeben. Das gegenseitige Sich-kennen hilft beim weiteren Kennenlernen der professionellen Fähigkeiten, Hintergründe und Erfahrungen: zum Beispiel, dass eine Kollegin auch noch eine Ausbildung zur Waldpädagogin oder einen Übungsleiterschein hat. 
  3. Die Fragen nach Räumen und Zeiten brauchen kreative Antworten. Kann beispielsweise der Klassenraum einer Klassenlehrerin oder eines Klassenlehrers am Nachmittag genutzt werden? Können Räume getauscht werden? Welche weiteren Räume gibt es bei den Kooperationspartnern und inwiefern können diese flexibel genutzt werden? Um das ganze Potenzial auszuschöpfen, muss sich die Schule bis in den Sozialraum hinein vernetzen. 
  4. Um Informationen über den Tag und die Personen hinweg zu verbreiten, braucht es Routinen. Diese Routinen müssen gut funktionieren. Es braucht klare Vorstellungen davon, wer die Information bringt oder wer sie holt – und in welcher Form. Zum Beispiel: Wer ist dafür verantwortlich, die Information über eine Krankmeldung an andere Beteiligten weiterzugeben? Und was passiert, wenn die bringende oder holende Person krank ist? Gut etablierte Routinen schaffen Entlastung und damit Zeit für die Bearbeitung anderer wichtiger Themen der Kooperation. 
  5. Verabredungen und Abstimmungen sollten kurz und knackig schriftlich festgehalten werden. Das muss sich natürlich auch in der Arbeitskultur wiederfinden und nicht nur für die Schublade produziert werden. Wenn alle wissen, wo solche Informationen liegen, kann das Wissen auch jederzeit wieder abgerufen werden. Schriftliche Vereinbarungen unterstützen die Organisation und Entwicklung der multiprofessionellen Kooperation. 
  6. Als letzter Punkt folgt dann die gemeinsame pädagogische Arbeit im multiprofessionellen Team. Hier geht es um Themen der Kommunikation innerhalb des Teams: Wie können wir eine gemeinsame Sprache finden? Welche Medien des Austauschs funktionieren für alle Beteiligten? Ist es ein Telefonat zu einer bestimmten Uhrzeit oder doch eher eine digitale Plattform? 

Diese sechs Bereiche zeigen, wie man multiprofessionelle Kooperation auf verschiedenen Ebenen stärken kann. Es gibt nicht eine einzelne Stellschraube, an der man nur drehen muss, damit die Kooperation funktioniert. Kooperation zu entwickeln ist eine komplexe Herausforderung mit einem großen Spektrum an Aufgaben. 

Wie trägt multiprofessionelle Kooperation zur Qualitätsentwicklung im Ganztag von Grundschulkindern bei?

Gut gemachte Kooperation trägt zum einen dazu bei, dass wir eine verlässliche Betreuung haben. Das ist wichtig für das Familienleben – wie die Forschung von StEG zeigt. Aber auch die Müttererwerbstätigkeit steigt mit einem größeren Angebot an Ganztagsbetreuung, wie andere Studien zeigen. Zum anderen wissen wir aus StEG, dass der Besuch qualitativ hochwertiger außerunterrichtlicher Angebote positiv wirkt: Wenn Kinder die Angebote gut finden, profitieren sie sowohl hinsichtlich ihrer Persönlichkeitsentwicklung als auch hinsichtlich ihrer schulischen Entwicklung. Kurz gesagt: Wenn wir durch gute multiprofessionelle Kooperation den Kindern hochwertige Angebote unterbreiten, kommen diese den Kindern zugute. 

Vielen Dank für das interessante Interview!